Schwere Vorwürfe gegen die deutsch-europäische Besatzungspolitik im Kosovo erhebt der Europäische Rechnungshof

 

 

 

 

 

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Die Logik des Krieges
01.11.2012
PRISTINA/BERLIN
(Eigener Bericht) - Schwere Vorwürfe gegen die deutsch-europäische Besatzungspolitik im Kosovo erhebt der Europäische Rechnungshof. Wie aus einem am Dienstag veröffentlichten Bericht der Institution hervorgeht, ist von einem "Rechtsstaat", den die EU schon seit Jahren in der völkerrechtswidrig von Serbien abgespaltenen Region aufzubauen vorgibt, nicht viel zu sehen. Stattdessen befinden sich nicht nur allgemein die Korruption, sondern insbesondere auch die Organisierte Kriminalität weiterhin auf einem "hohen Niveau"; dieses habe sich seit dem Beginn der Besatzung im Sommer 1999 "nicht bedeutend geändert", schreibt die EU-Behörde. Im Sommer 1999 war die NATO in die südserbische Provinz einmarschiert; unter ihrer Kontrolle und unter tatkräftiger Mitwirkung Berlins wurde die Mafia-Bande UÇK des derzeitigen kosovarischen Ministerpräsidenten Hashim Thaçi zur stärksten einheimischen Macht. Der Rechnungshof-Bericht lässt einmal mehr die Konsequenzen strategisch motivierter Gewaltoperationen erkennen, in deren Rahmen Berlin immer wieder auf Elemente wie die UÇK zurückgreift - mit ihrer Hilfe lassen sich Kriege gewinnen, ihre sozialen Qualitäten stehen einer humanen Entwicklung in den Zielgebieten deutscher Interventionen allerdings diametral entgegen.
Am Tropf der EU
Der am Dienstag publizierte Bericht des Europäischen Rechnungshofs rekapituliert zunächst knapp die Entwicklung des Kosovo in der jüngsten Vergangenheit. Er ruft in Erinnerung, wie im Sommer 1999 die NATO einmarschierte und - im Namen der UNO - die Kontrolle über die südserbische Provinz übernahm, wie dann Vorbereitungen für die formelle Sezession des Gebiets eingeleitet und die Abspaltung im Februar 2008 vollzogen wurde - völkerrechtswidrig. Bis heute wird das Kosovo, ungeachtet massiven Drucks vor allem aus Deutschland und den USA, nur von 91 Staaten weltweit anerkannt; selbst in der EU hat sich Berlin nicht durchsetzen können: Fünf EU-Staaten rechnen das Gebiet weiterhin, völkerrechtlich korrekt, Serbien zu.[1] Ungeachtet sämtlicher Widerstände gegen die illegale Sezession wird Priština schon seit 1999 mit Milliardensummen westlicher Geberstaaten subventioniert. Allein von 1999 bis 2007, schreibt der Europäische Rechnungshof, habe es rund 3,5 Milliarden Euro erhalten - zwei Drittel davon aus dem EU-Etat und von EU-Mitgliedsländern -, für 2009 bis 2011 seien 1,2 Milliarden Euro bereitgestellt worden. Kosovo, das von einem Fünftel der EU-Mitglieder nicht anerkannt wird, ist - pro Kopf gerechnet - heute der größte Empfänger von EU-Hilfen überhaupt.
Die Mafia an der Macht
Besondere Bedeutung kommt in diesem Rahmen EULEX zu, der "European Union Rule of Law Mission in Kosovo", die in dem Sezessionsgebiet einen Rechtsstaat aufbauen soll. Hintergrund ist die soziale Lage dort. Deutschland und die NATO begannen vor dem Überfall auf Jugoslawien im März 1999, Mafia-Milizen aus dem von archaischen Clans dominierten kosovarischen Hinterland gegen Belgrad aufzurüsten. Während des Krieges operierte die UÇK faktisch als Bodentruppe für die NATO-Bomber; als die Kampfhandlungen zu Ende waren, hatte sie sich zur stärksten Kraft in der südserbischen Provinz entwickelt. Ihr damaliger Führer, Hashim Thaçi, ist seit dem Jahr 2008 kosovarischer Ministerpräsident. Die Mafia-Aktivitäten des Regierungschefs und seiner aktuellen Entourage werden seit Ende der 1990er Jahre regelmäßig international kritisiert (german-foreign-policy.com berichtete [2]). EULEX hat daher die Aufgabe erhalten, rechtsstaatliche Prinzipien im Kosovo zu etablieren. Es handelt sich bei EULEX mit ihren gut 2.500 Mitarbeitern um die größte Krisenoperation der EU überhaupt.
Fehlmanagement
Der Europäische Rechnungshof stellt EULEX nun ein vernichtendes Urteil aus. Es beruht nicht nur auf Merkwürdigkeiten, die sich noch als simples Fehlmanagement darstellen ließen. So unterstützte die EU-Kommission dem Rechnungshof zufolge den Aufbau eines eigenen Informationssysstems für die kosovarische Grenzpolizei, anstelle der gesamten Polizei - wie von EULEX gefordert - ein einheitliches System zu verschaffen. Man habe bei der Vorbereitung schlicht keine Koordinierung vorgenommen, konstatiert die EU-Behörde. Darüber hinaus sei die Einführung der beiden Systeme "signifikant verspätet" erfolgt; Ausrüstungsgegenstände seien mit einem Zeitverzug von über einem Jahr geliefert worden. Überhaupt sei es ein zentrales Ziel der Maßnahme gewesen, ein schon längst existierendes Informationssystem nur deswegen zu ersetzen, weil dessen Einführung von den USA unterstützt worden sei; Washington habe nicht auf Kompatibilität mit den üblichen EU-Standards geachtet. Schwierigkeiten bei der Einführung des neuen EU-Systems habe es auch gegeben, da das kosovarische Personal gerne mit der in Betrieb befindlichen Apparatur weitergearbeitet hätte. Einer effizienten polizeilichen Tätigkeit habe man damit keinesfalls gedient, kritisiert der Rechnungshof.[3]
Organisierte Kriminalität
Gravierender ist, dass nach jahrelanger EU-Tätigkeit das Kosovo allenfalls "geringe Fortschritte im Kampf gegen das organisierte Verbrechen" verzeichnen kann. Tatsächlich habe sich die Lage, heißt es beim Rechnungshof, seit 1999 hinsichtlich der Organisierten Kriminalität "nicht bedeutend geändert", letztere verharre auf "hohem Niveau". Die Untersuchung selbst schwerer Verbrechen sei "immer noch unwirksam", keineswegs nur wegen mangelhafter Erfahrung, sondern vor allem auch wegen politischer Interventionen. Die kosovarischen Behörden seien außerdem nicht in der Lage, Wirtschaftsverbrechen und Geldwäsche zu bekämpfen - Formen der Kriminalität, die gewöhnlich anderweitige Mafia-Aktivitäten begleiten.[4]
Abhängige Justiz
Auch das Gerichtswesen leide trotz der langjährigen EU-Maßnahmen weiterhin "an grundlegenden Schwächen", moniert der Europäische Rechnungshof. So seien zahlreiche Stellen vakant, da die kosovarischen Behörden Personalvorschläge der Besatzer nicht akzeptierten. Schlimme Mängel gebe es bei der Wahrung von Minderheiten-Rechten: Nur 33 Prozent der Posten im Gerichtswesen, die für Minoritäten reserviert seien, seien besetzt. Die Anzahl der Richter und Staatsanwälte sei so niedrig, dass eine angemessene Strafverfolgung unmöglich sei. Politische Intervention werde durch die Tatsache erleichtert, dass die Zuteilung der Fälle an bestimmte Richter und Staatsanwälte völlig willkürlich erfolge; ein EU-System, das Abhilfe schaffen solle, sei schon seit 2004 in Arbeit, werde jedoch noch immer nicht eingesetzt. Die OSZE habe sich bestätigen lassen, dass so manche Richter nicht bereit seien, "ihre Urteile auf der alleinigen Grundlage des Rechts" zu sprechen, sondern dass sie "dazu tendierten, in vorauseilendem Gehorsam gegenüber äußeren Einflüssen zu handeln".[5] Positive Entwicklungen kann der Europäische Rechnungshof nur in einem Segment erkennen: Der Aufbau des kosovarischen Zollwesens verzeichne "in hohem Maße Erfolg".
Kräfte der Zukunft
Der Rechnungshof-Bericht lässt einmal mehr erkennen, welche Konsequenzen geostrategisch motivierte Gewaltoperationen wie der Kosovo-Krieg mit sich bringen. Um den Feind zu besiegen, kooperiert die Bundesrepublik regelmäßig mit Elementen, die schlagkräftig genug sind, um Kriege zu gewinnen, deren soziale Qualitäten allerdings einer humanen Entwicklung in den Zielgebieten deutscher Interventionen diametral entgegenstehen. Dies war bereits im Afghanistan der 1980er Jahre der Fall, als die Bundesrepublik sich im Rahmen des westlichen Bündnisses daran beteiligte, afghanische Mujahedin gegen prosowjetische Kräfte in Kabul und gegen die sowjetische Armee zu unterstützen; die Folgen sind bekannt. Die Zusammenarbeit mit der UÇK, die gewalttätig genug war, um das Kosovo im Verein mit der NATO Jugoslawien zu entreißen, mündete letztlich in die Herrschaft von Mafia-Clans, die der Europäische Rechnungshof heute beklagt. Ähnliches muss für die aktuelle Kooperation mit Warlords in Afghanistan befürchtet werden, mit deren Hilfe Berlin die Kontrolle am Hindukusch aufrecht zu halten sucht (german-foreign-policy.com berichtete [6]), oder für Syrien, wo islamistische Milizen an der Seite des Westens kämpfen [7]. Die Brutalisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse entspricht der Logik des Krieges, die nicht die humansten, sondern die gewalttätigsten Elemente zu den meistversprechenden Verbündeten, langfristig allerdings auch zu den maßgeblichen Kräften der Zukunft macht.
 
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58449
 
 
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